MEINE ALKOHOLFREI - GESCHICHTE

Eigentlich war es nur so ein Gedanke. So ein dahin gesagter Satz zwischen Zähneputzen und „Was essen wir heute?“ Ich schaute meinen Partner an und sagte: „Lass uns doch mal einen Monat keinen Alkohol trinken.“ Kein grosser Plan. Kein Neujahrsvorsatz. Kein „Jetzt wird alles anders!“. Einfach ein Impuls. An einem ganz normalen Abend im Januar 2024. So beiläufig ausgesprochen wie: „Hättest du auch Lust auf Pasta?“ Seine Antwort? Trocken wie ein Martini (alkoholfrei, versteht sich): „Ein Monat ist doch keine Herausforderung – machen wir gleich ein Jahr draus.“

Und so sind wir losgegangen. Ohne Vorbereitung. Ohne fancy Tracker. Ohne Entwöhnungsratgeber. Nur mit einer Prise Neugier, zwei offenen Herzen und der stillen Ahnung, dass da vielleicht etwas in Bewegung kommen könnte. Und es kam etwas in Bewegung. Ziemlich viel sogar. Nach ein paar Monaten sassen wir abends auf dem Sofa, und mein Partner sagte: „Mein Körper fühlt sich anders an. Alles ist irgendwie... klarer.“ Und ich konnte nur nicken. Auch bei mir hatte sich etwas verschoben. Mein Kopf war freier. Mein Körper wacher. Meine Endometriosebeschwerden? Fast verschwunden. Und das vielleicht Schönste: Mein Gefühl für mich selbst war wieder da. Nicht laut. Aber klar. Leise. Wahrhaftig. Unverstellt.

Was uns am meisten überrascht hat: Wir waren keine Vieltrinker. Ein Glas Wein hier, ein Guinness dort. Vielleicht mal ein Gin Tonic am Wochenende. Alles im Rahmen. Alles gesellschaftlich völlig akzeptiert. Und trotzdem hat das Weglassen dieses einen Bestandteils so vieles verändert. Nicht nur bei uns – auch in unserem Umfeld. Nicht, weil wir missioniert hätten. Sondern weil spürbar wurde: Da passiert etwas Gutes. Plötzlich tranken auch Freund:innen weniger. Oder gar nichts mehr. Nicht aus Protest. Einfach, weil es sich stimmiger anfühlte. Weil „normal“ plötzlich neu definiert wurde.

Doch was nach aussen wie ein spontaner Impuls aussah, hatte tiefere Wurzeln. Ich war sieben Jahre mit einem alkoholabhängigen Partner zusammen – ein Mensch, der täglich zwei bis sechs Liter Bier trank und mir trotzdem versicherte, dass nur Menschen mit Schnaps ein Problem hätten. Ich rutschte in die Co-Abhängigkeit. Lernte zu funktionieren. Zu beschwichtigen. Zu schweigen, wenn es laut wurde – und zu lächeln, wenn es weh tat. Diese Beziehung war ein fragiles Konstrukt aus Lügen, Kontrolle und Selbstverlust. Und irgendwann wusste ich: Wenn ich bleibe, verliere ich mich ganz. Also bin ich gegangen. Ohne Drama. Aber mit Entschlossenheit.

Auch sonst war Alkohol nie das Thema – und doch immer da. In der Familie. Im Alltag. Immer so am Rand. Still. Aber immer präsent. Ich habe früh gelernt, genau hinzusehen. Zu spüren, was zwischen den Zeilen liegt. Und ich weiss heute: Alkoholismus hat viele Gesichter. Manche laut. Manche leise. Manche so gut getarnt, dass man sie erst erkennt, wenn man selbst klarer sieht.

All das prägt meinen Blick auf das Thema. Nicht dogmatisch. Nicht belehrend. Sondern ehrlich. Und mitfühlend. Mit einer gehörigen Portion Realitätssinn und einem kleinen Schuss Humor. Ich glaube nicht an Schwarz-Weiss-Denken. Ich glaube an das Dazwischen. An graue Übergänge. An leise Neuanfänge, die nicht als heroische Entscheidung daherkommen, sondern als flüchtiger Gedanke beim Zähneputzen.

Und wie ging es weiter? Unser Jahr ohne Alkohol neigte sich dem Ende zu. Ein Jahr voller Erkenntnisse, Gewohnheitsbrüche, kleiner Stolz-Momente und grosser innerer Ruhe. Wir verbrachten den Abschluss unseres alkoholfreien Jahres auf Sri Lanka – in Mitten üppiger Natur und der theoretischen Möglichkeit, mit einem Glas Champagner auf den „Erfolg“ anzustossen. Aber es passte einfach nicht mehr. Nicht zu uns. Nicht zu dem, was dieses Jahr für uns bedeutet hatte. Nicht zu dem Menschen, der ich geworden war. Wir merkten beide: Da ist kein Verzicht. Kein Verlust. Kein Opfer. Nur Gewinn. Von A bis Z. Für den Körper. Für das Herz. Fürs ganze Leben. Und so war für uns klar: Wir gehen diesen Weg weiter. Nicht als Dogma. Nicht für Likes. Sondern weil es sich gut anfühlt.

Heute bin ich mittendrin im Aufbau von frau.alkoholfrei – nicht als Projektionsfläche für perfekte Vorher-Nachher-Fotos, sondern als Einladung. Für Frauen, welche nicht in Schubladen passen. Für alle, die spüren, dass da noch mehr möglich ist – jenseits des Feierabendweins und der Gewohnheit. Ich entwickle Kurse, die begleiten statt belehren. Impulse, die stärken statt stressen. Und Inhalte, die ehrlich sind – auch wenn’s mal unbequem wird. Hier wird nichts geschönt. Aber auch nichts verteufelt. Hier darfst du einfach du sein. Mit Fragen. Mit Zweifeln. Mit Neugier.

Klarheit statt Kater. Haltung statt Hochglanz. Und ein Hauch Rebellion gegen das „alle machen das so“. Vielleicht ist dieser Text dein kleiner Impuls. So einer, der leise im Hintergrund bleibt – und dann plötzlich ein ganz neues Kapitel aufschlägt. Wenn du magst: Ich bin da. Mit Worten, Wissen, Wärme – und einem grossen Herzen für alles, was leise beginnt.